Was fasziniert Sie persönlich an Künstlicher Intelligenz?
Im Wesentlichen geht es bei der KI darum, Daten auszuwerten und ein möglichst kohärentes Abbild der Welt zu erstellen. Dieser Weg von den Daten hin zu einem kompakten Modell, das uns Vorhersagen ermöglicht, hat mich von Anfang an interessiert. Als Menschen tun wir das ganz natürlich. Wie können wir diese menschenähnlichen Verhaltensweisen nachbilden, im Wissen, dass Algorithmen nicht annähernd so intelligent sind wie Menschen? Und wie werden Daten, aber auch Vorkenntnisse in guten KI-Systemen kombiniert?
Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz heute und morgen in der Medizin?
Ich denke, wir stehen am Anfang einer langen Reise der KI in der Medizin. Wir sehen zum Beispiel, dass datengesteuerte KI neue Lösungen bietet, die es ermöglichen, bestimmte Prozesse in der Diagnostik zu vereinfachen. Wir ersetzen zum Beispiel eine Komponente in einem aufwendigen Diagnose-Verfahren und fügen einen automatisierten Teil ein, etwa in der Radiologie oder in der digitalen Pathologie. Hier hat die KI ein grosses Potenzial, und es entstehen derzeit viele Industrieprojekte und Technologien in diesem Bereich.
In den kommenden Jahren wird sich das vor allem im Bereich der Präzisionsmedizin entwickeln: statt eine Therapie für alle anzuwenden, werden etwa genetische Besonderheiten der individuellen Patientin oder des individuellen Patienten berücksichtigt, um für sie die bestmögliche Therapie anzubieten. Dies ist ein Bereich, in dem KI einen enormen Einfluss haben wird.
Sie erforschen und entwickeln selbst seit 15 Jahren KI-Technologien für die Medizin. Was sind Ihre Erfahrungen?
Wenn man bei guten Projekten mit Mitarbeitenden diskutiert, die ausserhalb des eigenen Fachbereichs stehen, springt ein Funke über. So ein «Aha»-Moment ermöglicht es zwei Welten – dem Ingenieurwesen und der Medizin – sich zu verbinden und darüber zu verständigen, wie eine klinisch taugliche KI-Technologie genau funktionieren muss. Dieser Moment ist wirklich genial – und ich suche in allen Projekten danach.
Dieser Moment ist wirklich genial – und ich suche in allen Projekten danach.
Essenziell für den Erfolg eines KI-Projekts ist aber, dass alle hartnäckig dranbleiben. Wenn man ein Team von Leuten findet, die dieses gemeinsame Ziel mittragen, dann werden das sehr starke Projekte. Dieses anhaltende Interesse und der Drang, die Ideen, die Ausführung und alle Aspekte der Technologie immer wieder zu verbessern und zu validieren – dies sieht man nicht in Forschungspublikationen, aber ich glaube, dass dies der Kern aller erfolgreichen KI-Projekte in der Medizin ist.
Ein Zentrum für künstliche Intelligenz – weder das erste noch vermutlich das letzte. Was ist das Besondere am CAIM?
Was das CAIM einzigartig macht, ist, dass wir in eine medizinische Fakultät eingebunden sind. Die medizinische Fakultät der Universität Bern blickt auf eine langjährige und erfolgreiche Tradition zurück, was das Einbetten von Ingenieurinnen und Ingenieuren in einen medizinischen Fachbereich anbelangt. Damals, vor 20 Jahren, war dies visionär.
Das CAIM setzt diesen Ansatz im digitalen Bereich fort. Die Einzigartigkeit unseres Zentrums besteht darin, dass wir Informatikerinnen, biomedizinische Ingenieure und klinische Expertinnen dank einer integrierten Plattform zusammenbringen. Dabei fangen wir nicht bei Null an, sondern haben bereits Erfahrung in der Zusammenarbeit. Und wir konzentrieren uns auf eine Richtung mit grossem Zukunftspotenzial.
Von einem klinischen Bedürfnis ausgehen und etwas entwickeln, das Patienten wirklich nutzt
Wie möchte sich das CAIM konkret national und international positionieren?
Wir werden die Geschichte der Translation in Bern weiterführen: also von einem klinischen Bedürfnis ausgehen und etwas entwickeln, das Patientinnen und Patienten wirklich nutzt. Einerseits wird das CAIM dazu beitragen, Ressourcen zu optimieren und den Wissenstransfer und Austausch auf nationaler Ebene zu fördern. Unsere Strategie ist, Talente stärker zu fördern, mehr Nachwuchs in diesem Bereich auszubilden, um klinische Bedürfnisse breiter angehen zu können. Deshalb bieten wir einen neuen Masterstudiengang für KI in der Medizin an, um die nächste Generation von Medizinerinnen und Medizinern mit digital skills auszustatten.
Zudem wollen wir den Überblick über die vielen KI-Projekte haben, die an der Universität Bern bereits laufen oder als gute Ideen weiterentwickelt sollten. Diese Projekte sollen gefördert und dann in «Flaggschiff-Initiativen» umgewandelt werden, wenn sie ausgereift und umsetzungsreif sind. Zu diesem Zweck richten wir einen Forschungsfonds ein. International werden wir uns mit Partnern für strategische Kooperationen vernetzen. Unser Konsortium ist, wie viele andere auch, bei einigen Themen bereits stark. Bei anderen Themen planen wir, mit nationalen und internationalen Institutionen zusammenzuarbeiten, um die Wirkung unserer Projekte zu erhöhen.
Welches sind die nächsten Schritte des CAIM?
Im September startet unser neuer Masterstudiengang. Ausserdem planen wir für diesen Herbst die erste Ausschreibung für unseren Forschungsfonds, damit Forschende die nötige finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung erhalten, um neue Projekte zu starten.
Es wird inspirierend sein zu sehen, wie die Projekte verschiedenen Interessen und Herangehensweisen bei der Erforschung von KI-Technologien für das Gesundheitswesen abbilden. Und es wird eine sehr spannende Zeit für die angehenden Studierenden, die sich in unser «Ökosystem» einfügen und die Möglichkeit erhalten, einen Teil ihrer Ausbildung in verschiedenen Kliniken zu verbringen.