November 2022
Die Gewinnerin des CAIM Young Research Award, Charlotte Kern, und ihre Kollegin Verena Schöning nutzen verschiedene Ansätze wie Data Mining, maschinelles Lernen sowie Modellierungs- und Simulationsstudien in der Pharmakometrie, um die Auswirkungen von Medikamenten auf Krankheiten vorherzusagen und so die klinische Entscheidungsfindung zu unterstützen. Im Team arbeiten sie mit Ärztinnen und Ärzten der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, an der Abteilung für Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Inselspital, Universitätsspital Bern, zusammen. Während der COVID-19-Pandemie trug ihre Forschung direkt zu einer verbesserten Patientenversorgung bei.
Verena, worum geht es in eurer Forschung?
In unserer Forschung modellieren wir im Wesentlichen die Art und Weise, wie Medikamente in den menschlichen Körper gelangen und welche Wirkung sie dort auf bestimmte Krankheitserreger haben. Diese so genannte pharmakometrische Modellierung gibt Klinikerinnen und Klinikern Aufschluss über die Dynamik von Medikamenten im Körper und hilft ihnen bei der Entscheidungsfindung. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie haben Charlotte und ich zunächst ein Modell erstellt, wie sich das Virus im menschlichen Körper vermehrt, genauer gesagt, wie infizierte Zellen das Virus produzieren und dieses sich im Körper verbreitet. Dann haben wir die Plasmakonzentrationsprofile verschiedener Medikamente modelliert, darunter die meisten aus der SOLIDARITY-Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO und Substanzen, die in der Öffentlichkeit diskutiert wurden. Schliesslich kombinierten wir die beiden Modelle miteinander und konnten so die Auswirkungen dieser Medikamente auf die Virusexposition bei unseren simulierten Patienten vorhersagen. So konnten wir direkt sehen, welche Medikamente am besten für die Therapie geeignet sein könnten.
Auf der Grundlage von Modellen des maschinellen Lernens, wie Multilayer Perceptron und Random Forest, entwickelten wir anschließend einen Bewertungsscore für den Schweregrad von COVID-19-Erkrankungen zur Triage von SARS-CoV-2-positiven Patientinnen und Patienten. Mithilfe von Data Mining und Statistik konnten wir alle verfügbaren Patientendaten (Laborergebnisse, demografische Daten usw.) nutzen, um Risikofaktoren zu ermitteln, mit denen sich vorhersagen lässt, ob jemand voraussichtlich eine Intensivbehandlung benötigt oder Gefahr läuft, im Spital zu sterben. Dies funktionierte mit einer Genauigkeit von über 80 Prozent.
Charlotte, was motiviert dich an deiner Arbeit?
Im Rahmen unserer Forschung im Bereich der pharmakometrischen Modellierung und Simulation analysieren wir pharmakokinetische Daten und erstellen Modelle, wobei wir die Unterschiede zwischen Patienten und auch zufällige Fehler berücksichtigen. Wir untersuchen den zeitlichen Verlauf der Arzneimittelexposition im Körper und die Wirkungen des Medikaments und wollen letztlich den Ärztinnen und Ärzten helfen, die richtige Behandlung und Dosis für ihre Patienten zu wählen.
Im Kontext der Pandemie erhielt unsere Arbeit eine unglaubliche Dynamik: Wir mussten aufgrund von Verzögerungen bei klinischen Studien im Ausland die Projekte wechseln und zunächst einmal verstehen, was da auf uns zukam. Es gab überall so viele widersprüchliche Informationen, und wir wollten versuchen, den Klinikerinnen und Klinikern bei der Orientierung zu helfen. Anfang 2020 verwendeten wir Daten zur Viruslast von unbehandelten Patientinnen und Patienten in Singapur, passten sie an unser virales Kinetikmodell an und nutzten alle präklinischen und klinischen Daten, sobald sie verfügbar waren, um ständig nach potenziell wirksamen Medikamenten und Behandlungsplänen zu suchen. Es ist äusserst motivierend, in Echtzeit mit realen Daten zu arbeiten und zu wissen, dass die eigene Arbeit etwas bewirkt! Ich hatte das Gefühl, Teil von etwas viel Grösserem zu sein und gemeinsam gegen etwas anzukämpfen, dessen Auswirkungen wir noch gar nicht fassen konnten.
Es ist äusserst motivierend, in Echtzeit mit realen Daten zu arbeiten und zu wissen, dass die eigene Arbeit etwas bewirkt!
Was sind Entwicklungsfelder in eurem Forschungsbereich?
Verena: Auf jeden Fall künstliche Intelligenz! Ich persönlich interessiere mich sehr für Krankheitsverläufe und dafür, wie KI bei der Modellierung von Krankheiten eingesetzt werden könnte.
Ich habe eine sehr interessante Studie zur Vermeidung starker Nebenwirkungen bei Chemotherapie gelesen, die mein Interesse an dem Gebiet geweckt hat. Wenn man den Zeitplan und die Dosis ändert, kann man immer noch die gleiche Wirksamkeit erzielen, aber mit weniger Nebenwirkungen. Diese Art von Informationen ist hilfreich und könnte sich positiv auf das Leben der Menschen auswirken!
Es gibt Medikamente, wie bestimmte Antibiotika, deren Wirksamkeitsspektrum sehr eng ist: Wenn man zu wenig nimmt, helfen sie nicht und können Resistenzen fördern. Und zu viel wird schnell toxisch. Diese Medikamente sind sehr schwer zu dosieren, da so viele Faktoren die richtige Dosierung beeinflussen. Das Gleiche gilt für Cyclosporin, das nach einer Organtransplantation eingesetzt wird. Selbst nach wochenlanger Behandlung erhalten weniger als ein Viertel der Kinder die richtige Dosis! Mit Hilfe des maschinellen Lernens könnten wir Klinikerinnen und Kliniker bei der Festlegung der richtigen Dosis unterstützen. Wir können die uns zur Verfügung stehenden Datenmengen nutzen, um den Menschen zu helfen.
Haltet ihr Vielfalt in eurem Forschungsbereich für wichtig?
Charlotte: In unserer kleinen Gruppe sind wir eigentlich sehr divers! Felix ist mein Doktorvater, Verena ist meine Mentorin, und in meiner Gruppe erfahre ich grosse Unterstützung und Ermutigung für meine wissenschaftliche Entwicklung. Wenn ich jedoch ausserhalb der Wissenschaft jemandem erzähle, dass ich in der Informatik arbeite, glauben mir das Viele gar nicht! Die Mentalität, dass Frauen das auch können, entwickelt sich aber langsam. Schliesslich waren Frauen unten den ersten überhaupt, die programmierten! (Ada Lovelace, Grace Hopper, ...).
Verena: Es gibt tatsächlich immer noch dieses Vorurteil, dass Frauen nicht gut im Programmieren seien. Umgekehrt haben manche Frauen ohne guten Grund Angst davor, damit zu beginnen. Ich denke aber, wir bewegen uns insgesamt in die richtige Richtung. Ich selbst habe mit 33 Jahren angefangen zu programmieren. Das ist also nichts, was man in jungen Jahren lernen muss; man kann auch später sehr gute Fortschritte machen. Zudem kann ich mein Berufs- und Privatleben ziemlich gut miteinander vereinbaren. Als Mutter ist es hilfreich, dass ich nicht immer vor Ort im Labor sein muss. Man kann sich besser um seine familiären Pflichten herum organisieren als bei anderen Jobs, die vielleicht weniger flexibel sind. Es ist eine grossartige Entscheidung, einen technischen Beruf zu wählen!