Februar 2023
Florence Aellen ist Spezialistin für Deep Learning am Cognitive Computational Neuroscience Lab des Instituts für Informatik der Universität Bern. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit arbeitet sie mit einem interdisziplinären Forschungsteam daran, Zusammenhänge zwischen elektrischer Hirnaktivität und Bewusstseinszuständen zu entschlüsseln. Mit einem Hintergrund in Mathematik und theoretischer Physik stellt sie ihre rechnerischen Fachkenntnisse nun in den Dienst klinischer Anwendungen und lernt dabei viel über ganz neue Forschungsfelder.
Flo(rence), worum geht es in deiner Forschung?
Mein Projekt ist Teil der Rechnerplattform der Interfakultären Forschungs-kooperation "Decoding Sleep" der Universität Bern und des Inselspitals, Universitätsspital Bern. Neben methodischer Hintergrundforschung habe ich Indikatoren für Schlafstörungen untersucht und zuletzt aus EEG-Daten positive prädiktive Marker für Komapatienten extrahiert. In unserem interdisziplinären Team bin ich für die Datenanalyse mittels Machine und Deep Learning zuständig.
Die Beurteilung des Zustands von Komapatienten auf der Intensivstation ist heute sehr schwierig. Sie konzentriert sich meist auf negative Marker, ist anfällig für Beurteilungsschwankungen und liefert für ein Drittel der Patientinnen und Patienten eine unklare Prognose. Wir haben Deep-Learning-Modelle trainiert, um Koma-Überlebende zu identifizieren. Gibt das Netzwerk einen Wert über einem definierten Schwellenwert aus, ist dies ein positiver Indikator. Der Fokus auf solche positiven Marker kann eine wichtige zusätzliche Information für klinische Entscheide sein. Auch kann es Familienmitgliedern helfen, in solche extremen Situationen eine positive Nachricht zu erhalten. Wir sind nur einen Schritt von einer vollautomatischen Pipeline auf der Grundlage komplexer EEG-Daten entfernt. Sobald diese an neuen Patientenkohorten und Krankenhäusern validiert wurde, könnte sie dazu beitragen, das Überleben objektiv und ziemlich präzise vorherzusagen, selbst bei Patienten, bei denen dies bisher schwierig war.
Ich löse gerne Rätsel. Das ist ein Aspekt, den ich am Programmieren besonders schätze.
Warum verwendest du Methoden der Künstlichen Intelligenz?
Für diese Studie nutzten wir EEG-Daten von 134 Komapatientinnen und -Patienten aus vier Schweizer Spitälern, die innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Eintreten des Komas gesammelt wurden. Den Patienten wurden 20 Minuten lang Töne vorgespielt, und dabei wurde aufgezeichnet, wie ihr Gehirn diese Töne verarbeitet. Diese erste Phase des Komas ist entscheidend für die Vorhersage des weiteren Verlaufs der Patienten. Deep Learning eignet sich besonders gut für eine solche komplexe Berechnung, denn im Gegensatz zum maschinellen Lernen für neuronale Daten muss es sich nicht auf einen einzigen Aspekt der Daten konzentrieren. Entsprechend ist es möglich, die gesamte EEG-Reaktion an verschiedenen Elektroden gleichzeitig zu untersuchen. Deep Learning kann zudem die grossen Unterschiede in den EEG-Reaktionen der Patienten berücksichtigen: Einige reagieren auf neuronaler Ebene schnell, andere langsam auf die abgespielten Töne. Deep Learning kann also mehrere Muster in den Daten erfassen und ein aussagekräftiges Gesamtbild liefern.
Wie beurteilst du dein Forschungsumfeld?