Februar 2024
Katharina Wilmes fasziniert die Frage, wie Menschen in einer unsicheren Welt lernen. Um das herauszufinden, forscht sie als Postdoktorandin in der "Computational Neuroscience Group" des Instituts für Physiologie der Universität Bern. In ihrer Forschung entwickelt sie neurowissenschaftliche Modelle. Dafür kombiniert sie Mathematik, neuronale Theorie und Simulationen neuronaler Netze mit der experimentellen Überprüfung von Hypothesen, um mehr über den Einfluss von sensorischer Erfahrung auf das Lernen zu erfahren.
Katharina, woran arbeitest du zurzeit?
Ich interessiere mich dafür, wie wir aus Sinneserfahrungen lernen. Mein Projekt konzentriert sich auf das Lernen in einer „verrauschten“ und unsicheren Welt. Genauer gesagt untersuche ich, wie Vorhersagefehler als Signal für das Lernen genutzt werden können und wie man sie am Computer modellieren kann. Die derzeitige Forschung legt nahe, dass wir Vorhersagen darüber treffen, was wir sehen und erleben werden, und dass wir diese Vorhersagen mit dem vergleichen, was tatsächlich geschieht.
Nehmen wir an, jemand nimmt einen Bus. Sie erwartet, dass der Bus zu einer bestimmten Zeit plus minus einiger Minuten ankommt. Es ist wichtig, etwas über die Variabilität des Busses zu lernen, denn wenn der Bus nur ein paar Minuten Verspätung hat, sollte dieser kleine Vorhersagefehler ihr Verhalten beim nächsten Mal nicht ändern. Wenn der Bus jedoch normalerweise recht pünktlich ist, aber eines Tages 20 Minuten Verspätung hat, kann dieser grosse Vorhersagefehler darauf hindeuten, dass der Busfahrplan geändert wurde. Vorhersagefehler sind für das Lernen sehr nützlich, da sie uns zeigen, wie wir unser Modell der Welt anpassen müssen, damit es wieder funktioniert. Beim Lernen aus Vorhersagefehlern ist es jedoch wichtig, auch die (normale) Variabilität zu kennen.
In meinem Projekt entwickle ich Theorien darüber, wie diese Vorhersagefehler im Gehirn repräsentiert werden, und entwickle Modelle neuronaler Schaltkreise, um die neuronalen Korrelate von Vorhersagefehlern besser zu verstehen. Dies deckt sich sehr gut mit dem Ziel unserer Forschungsgruppe: Wir entwickeln abstrakte mathematische Modelle von neuronalen Schaltkreisen und neuronalen Netzen. Damit wollen wir das neuronale Substrat des Lernens erklären.
Wie bist du auf dein Forschungsthema gekommen?
Ich habe mich schon immer dafür interessiert, wie das Gehirn lernen kann. Es ist erstaunlich, dass es sich mit jeder Sinneserfahrung so stark verändert. Wir Menschen sind so flexibel! Künstliche neuronale Netze haben immer noch Schwierigkeiten, das Niveau der menschlichen Flexibilität zu erreichen. Ich möchte unbedingt herausfinden, wie unser Gehirn das macht!
Ursprünglich habe ich mich mit biophysikalischer Modellierung beschäftigt. In meinem aktuellen Projekt haben wir die Hypothese aufgestellt, dass Ungewissheit die Vorhersagefehler auf der Grundlage einer mathematischen Theorie – der so genannten Bayes'schen Inferenz – modulieren sollte. Diese Hypothese haben wir dann in eine neuronale Theorie übersetzt, wie dies im Gehirn umgesetzt werden könnte. Das Ergebnis ist unser Modell: eine Computersimulation eines Neuronen-Netzes. Diese Simulation liefert uns die Vorhersagen für die neuronale Aktivität, die unsere Kolleg:innen dann in einem Experiment überprüfen können. Ihre Ergebnisse fliessen dann wieder in unsere Theorie ein.
In Zukunft möchte ich untersuchen, wie sich Veränderungen in neuronalen Schaltkreisen auf Vorhersagefehler und Lernen auswirken. Mehr Wissen über die beteiligten Zelltypen könnte wichtig sein, um psychiatrische Störungen etwa aus dem Autismus-Spektrum zu verstehen, die unter anderem Schwierigkeiten im Umgang mit Ungewissheit bereiten. Theoretische Modelle könnten dazu beitragen, die Kluft zwischen Verhaltens- und neurowissenschaftlicher Forschung zu überbrücken.
Mit unserer Forschung wollen wir das neuronale Substrat des Lernens verstehen.
Welches sind die aufregendsten Entwicklungen in deinem Bereich?
Die Optogenetik in der experimentellen Neurowissenschaft hat es den Wissenschaftler:innen ermöglicht, einzelne Zelltypen mit Licht zu aktivieren oder zu deaktivieren. Damit können die Aktivität und Rolle einzelner Zelltypen in einem Schaltkreis untersucht werden. Wir können auch sehen, was sich ändert, wenn ein bestimmter Zelltyp beeinflusst wird. Dies macht es möglich, meine neuronalen Modelle, die Vorhersagen für einzelne Zelltypen machen, in Experimenten zu testen, um besser zu verstehen, was im Gehirn während des Verhaltens passiert.
Ich bin nach Bern gekommen, weil ich in hier am Institut sowohl die theoretischen Grundlagen als auch eine direkte Verbindung zu den experimentellen Neurowissenschaften habe. Obwohl ich während der Pandemie angekommen bin, hatte ich einen sehr guten Start und konnte ein gutes Netzwerk mit anderen Postdocs aufbauen – auch durch die Mittelbauvereinigung der Universität.