Mai 2024
Simon Steppacher ist an der Klinik für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Inselspitals auf den Erhalt von Hüftgelenken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen spezialisiert. Er nutzt künstliche Intelligenz für detaillierte Einblicke in die präoperative Bildgebung, um die bestmöglichen Operationsergebnisse für seine Patient*innen zu erzielen, deren Leben noch vor ihnen liegt.
Prof. Steppacher, wie sieht Ihre klinische Arbeit aus?
Hüftdeformitäten können entweder von Geburt an vorhanden sein oder sich während des Wachstumsschubs entwickeln (bei Mädchen meist 11-13, bei Jungen 12-14 Jahre). Die gestörte Biomechanik der Hüfte führt zu zunehmenden Schmerzen und frühem Gelenkverschleiss. Unser Ziel als Chirurg*innen ist es, die optimale Biomechanik wiederherzustellen, um die Schmerzen zu lindern und das Hüftgelenk zu erhalten.
Für meine Forschung begleite ich die Patient*innen 20 bis 30 Jahre lang, um herauszufinden, wer am meisten profitiert hat. Bewegungsfreiheit ist eine der Grundlagen für unsere Lebensqualität, und ich freue mich, wenn jemand ohne Schmerzen zurückkehrt! Ich mag auch den manuellen Aspekt meiner Arbeit, die mechanische Arbeit oder das Sägen, die Klingen und Schrauben und Verändern von Winkeln.
Die Funktionalität der Hüfte ist ein sehr dreidimensionales Problem.
Wo liegen die grössten Herausforderungen bei diesen Operationen?
Die Orthopädie ist eine bildbasierte Medizin, und die Hüftfunktionalität ein sehr dreidimensionales Problem. Die derzeitige Bildgebung ist jedoch meist zweidimensional. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz wollen wir diese Lücke schliessen und die Diagnostik verbessern.
Um die Morphologie der Hüfte zu korrigieren und die Degeneration zu stoppen, ist es wichtig, dass der Gelenkknorpel noch von guter Qualität ist. Die moderne Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht es, die biochemische Zusammensetzung des Knorpels zu beurteilen und frühe Degenerationen zu erkennen. Heute kann man 3D-Informationen nur durch die manuelle Segmentierung von Hunderten von MR-Schichten erhalten - eine Aufgabe, die viel zu mühsam ist, um sie vor jeder Operation durchzuführen. KI kann innerhalb von Sekunden zwischen Knochen und Knorpel unterscheiden.
Seit 2017 haben wir im Rahmen eines Forschungsprojekts damit begonnen, ein KI-Tool zu entwickeln und zu validieren, mit dem 3D-Modelle von Hüftgelenken mit Informationen zur Knorpelqualität erstellt werden können - ein Tool, das wir nun im klinischen Alltag einsetzen.
Dieses neue Wissen kann uns helfen zu verstehen, wie genau sich Hüftdeformitäten von gesunden Hüften unterscheiden und welcher Ansatz bei der Operation die Ergebnisse der*s jeweiligen Patientin*en verbessert.
Fühlen Sie Ihre Tätigkeit als Arzt durch KI in Frage gestellt?
Ich bin seit 17 Jahren in der Orthopädie tätig, und es hat viele Fortschritte technologische Fortschritte gegeben, auf die wir angewiesen sind. Ich denke, dass KI ein wichtiges Thema ist, und ich freue mich, mit KI-Expert*innen aus der Gruppe für personalisierte Medizin zusammenzuarbeiten.
Heute wird KI vor allem zur Bildsegmentierung eingesetzt, aber schon bald könnte sie Behandlungsoptionen vorschlagen und deren Erfolg vorhersagen. Das ist im Wesentlichen das, was Ärzte heute tun: Wir werten Bilder aus, stellen eine Diagnose, schlagen eine Behandlung vor und sagen Patient*innen, was sie zu erwarten haben. KI hat das Potenzial, all dies zu tun, und sie kann auch bei der Behandlung selbst eine Rolle spielen.
Davor haben die Menschen wahrscheinlich Angst. Allerdings müssen wir sicherstellen, dass eine KI mit den richtigen Daten trainiert wird. Das Training mit seltenen Deformationen ist schwierig, da wir nicht genügend Bildbeispiele für diese haben. Aber ich denke, wir brauchen eine KI für die 3D-Segmentierung, und sie könnte uns sogar Frühwarnhinweise für den Knorpelverschleiss geben. Und wir brauchen den Menschen, um zu überprüfen, ob die Ergebnisse plausibel sind. Ich mache mir also keine Sorgen, dass die AI autonom wird.
KI hat das Potenzial, Bildgebung auszuwerten, Diagnosen zu stellen, Behandlungen vorzuschlagen und dem Patienten zu sagen, was er zu erwarten hat.
Warum haben Sie als Hüftchirurg das Inselspital gewählt?
Die Universitätsklinik für Orthopädische Chirurgie am Inselspital ist auf dem Gebiet der Korrektur von Hüftdeformitäten weltberühmt. In den 1980er und 1990er Jahren wurden hier verschiedene Hüftfehlstellungen und deren Korrekturoperationen erstmals beschrieben und entwickelt, die auch heute noch „state-of-the-art“ sind. Das Berner Hüftsymposium ist eine international anerkannte Fachfortbildung zur Hüftdeformitäten-Chirurgie. Wir haben einen grossen Erfahrungsschatz und können Patient*innen 30 Jahre nach der Operation fragen, ob sie noch ihr natürliches Hüftgelenk haben, um den Operationserfolg zu beurteilen.
Zudem haben wir Chirurg*innen einen sehr guten interdisziplinären Austausch zu technologielastigen Aspekten unserer Arbeit mit ARTORG Center der Universität Bern, mit sitem-insel und unserer Radiologie direkt vor der Haustür – eine einzigartige Stärke hier in Bern.
Die Orthopädische Chirurgie am Inselspital ist weltberühmt für die Korrektur von Hüftdeformitäten.